Fotografieausstellung „Welcome to Camp America: Inside Guantánamo Bay“
Der Begriff "Guantánamo Bay" ist heute allseits bekannt. Die einen verbinden mit ihm einem schönen Urlaubsort in der Karibik auf Kuba, die anderen mit der US-Marinebasis und dem darauf errichteten Gefangenenlager.
Die amerikanische Fotografin und ehemalige Bürgerrechtsanwältin Debi Cornwall thematisiert in ihren Fotografien Letzteres. In der neuen Ausstellung des Stadthauses Ulm, welche zugleich Cornwalls erste Ausstellung in Deutschland überhaupt ist und am 12. Dezember 2021 eröffnet wurde, wird dem/der Betrachter*in das volle Ausmaß der jüngsten amerikanischen Geschichte ins Gedächtnis gerufen. Cornwalls Aufnahmen vermeiden stereotype Ansichten und ermöglichen es dem Betrachter, sich aktiv mit der nuancierten Wahrheit und den Widersprüchen dieses sehr speziellen Ortes auseinanderzusetzen und sich gleichzeitig mit universellen Fragen zu Gerechtigkeit, individuellen Rechten, Sicherheit und Menschlichkeit zu befassen.
Die Kuratorin der Ausstellung - Daniela Yvonne Baumann - führte mich mit einer unglaublichen Expertise und aufrichtigem persönlichen Interesse durch die Ausstellung des Stadthauses. Ihrem Erzählten konnte man sehr gut folgen und auch Fragen rund um "Gitmo" wurden von Frau Baumann mit Geduld und verständlichen Erklärungen beantwortet.
Ich erfuhr, dass der Stützpunkt vor allem im Jahr 2002 internationale Bekanntheit erlangte, als das amerikanische Militär dort im Zuge der 9/11 Attacken und des darauffolgenden globalen "Krieges gegen den Terror" zu der bereits vorhandenen Marinebasis ein Internierungslager errichtete. Der Druck auf die USA, Schuldige für den Angriff auf das World Trade Center zu finden und zu präsentieren wurde immer größer, sodass alleine schon fragwürdige und teils unzureichende Gründe, wie das Tragen einer bestimmten Uhr genügten, um als verdächtig zu gelten und somit in Haft zu geraten. Es können sich durchaus die Fragen ergeben wie es dort um die Menschenrechte und ein modernes Rechtsverständnis bestellt ist. Fakt war nämlich, dass der Schuldspruch der späteren Insassen schon von Beginn an feststand und das Urteil ohne gerichtliche Verhandlung vollstreckt wurde.
Der erste Teil von Cornwalls dreiteiliger Ausstellung namens "Gitmo at Home, Gitmo at Play" zeigt Fotografien, welche den Ort in einem guten Licht darstellen sollen. Für die dort stationierten Soldaten und Soldatinnen - sowie deren Familienangehörige steht neben der Nutzung eines Kinder-Pools, Spielplatzes und einer McDonald's Filiale sogar noch eine eigene Bowlingbahn und weitere Freizeiteinrichtungen zur Verfügung, die für mich persönlich geradezu grotesk wirken vor dem Hintergrund, dass an diesem Ort Menschenreche missachtet werden. Des Weiteren, erklärt Kuratorin Daniela Baumann, wurden Debi Cornwall bei ihrer streng überwachten Führung durch das Häftlingslager sogenannte "Comfort Items" also "Annehmlichkeiten" der Insassen vorgestellt, wie beispielsweise der Besitz eines zweiten Paares Schuhe. Diese Items sollen die wahren Bedingungen des Lagers verharmlosen und den Anschein einer guten Behandlung der Häftlinge wahren. Auch das Bild eines Fernsehraums mit einem abgewetzten Sessel inklusive Fußfesseln für die Gefangenen, sollen für die Öffentlichkeit ein positives Image von Guantánamo konstruieren. Mir wird klar, dass Debi Cornwalls Bilder einen Ort zeigen, an welchem die Realität offensichtlich von dem dort stationierten Militär für eine gewisse Außenwirkung inszeniert worden war.
In "Beyond Gitmo", der zweiten Bilderserie der Ausstellung porträtiert Cornwall vierzehn ehemalige Guantánamo-Häftlinge, welche nach ihrer Entlassung entweder wieder in ihre Heimat oder in Drittländer überstellt wurden, in welchen diese teilweise immer noch überwacht werden. Obwohl die Männer nur von hinten zu sehen sind, wird in diesem Ausstellungsteil das Geschehene für mich zum ersten Mal wirklich real und greifbar. Ich erfahre, dass seit dem Jahr 2002, 780 Gefangene im US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay inhaftiert wurden - alle ohne eine konkrete Anklage oder jemals einen Prozess vor einem offiziellen Gericht der Vereinigten Staaten erhalten zu haben. Obwohl der Großteil der Häftlinge zwischenzeitlich entlassen worden ist, da ihnen keinerlei Schuld zugewiesen werden konnte, gewährte ihnen niemand eine Rehabilitierung oder eine Entschädigung. Umso beeindruckender ist es daher für mich zu erfahren, dass sich einige der Ex-Insassen trotz aller Widrigkeiten wieder zurück ins Leben gekämpft haben, wie beispielsweise der von Cornwall vorgestellte Deutsch-Türke Murat Kurnaz, der unschuldig in Guantánamo einsaß und heute als Flüchtlingsbetreuer arbeitet.
Der dritte und letzte Teil der Ausstellung unter dem Namen "Gitmo on Sale" zeigt eine Auswahl an Geschenkartikeln, welche im Souvenirshop des Stützpunktes verkauft und ausgestellt werden. Am erschreckendsten war für mich die Tatsache des Verkaufs von Kinder T-Shirts mit der Aufschrift "I love Guantánamo Bay Cuba", sowie der typischen orangefarbenen Häftlingskleidung. Dies bestärkt mich in meiner Meinung, dass die Verhältnisse dort sehr verharmlost werden und die Problematik der schlechten Behandlung der Insassen nicht wirklich ernst genommen wird. Zum heutigen Zeitpunkt befinden sich in Guantánamo nämlich immer noch 39 Männer in Gewahrsam, die von 1.550 Militärangehörigen bewacht werden.
Nach Ende der Führung durch Debi Cornwalls Ausstellung habe ich das Gefühl noch nie so viel in so kurzer Zeit gelernt zu haben. Nicht nur hinsichtlich des geschichtlichen und politischen Aspektes, sondern auch inwiefern Kunst und Fotografie ein Gefühl und eine Geschichte übermitteln können. Durch Begleittexte, welche an den Wänden des Stadthauses zu lesen sind, sowie einer sechs-minütigen Audio-Installation von Verhörprotokollen des Gefangenenlagers werden alle Sinne des Betrachters / der Betrachterin angesprochen. Am Interessantesten, sowie Erstaunlichsten finde ich, dass Debi Cornwall es geschafft hat, mit ihren Fotografien, welche vermeintlich harmlose Bildausschnitte zeigen, auf die Ungerechtigkeit hinzuweisen, welche seit knappen 20 Jahren in Guantánamo Bay zum Tagesgeschäft gehören. Nach dem Besuch der Ausstellung bleibt jedoch die Frage bestehen inwiefern die Rechte eines Individuums staatlichen Interessen untergeordnet werden dürfen.
Rückblickend kann ich jeder und jedem nur empfehlen, sich ein bis zwei Stunden Zeit zu nehmen und diese Ausstellung zu durchlaufen. Die Thematik ist zwar sehr ernst und keine leichte Kost - in meinen Augen jedoch unheimlich interessant, lehrreich und nach wie vor relevant. Zudem besteht die Möglichkeit, an ausgewählten Terminen einer öffentlichen Ausstellungsführung mit Daniela Yvonne Baumann beizuwohnen.
Die Ausstellung ist bis zum 13.März 2022 im Stadthaus Ulm zu sehen. Informationen zu den Öffnungszeiten, sowie weitere Begleitevents der Ausstellung findet ihr hier.
In einem Interview zwischen dem SWR2 Journal und der Ausstellungskuratorin Daniela Yvonne Baumann erfahrt ihr noch mehr Hintergrundwissen zu der Entstehung der Ausstellung, sowie zu der heutigen Situation auf Guantánamo Bay, Kuba. Hier könnt ihr reinhören.
Foto: "Erholungshof" auf Guantánamo Bay, Kuba (2015) - Debi Cornwall